Über

Statement

Claudia Guderian

Wie verwandelt sich das Totenantlitz während der vielfältigen Abformungszyklen? Immer wieder fragte ich mich das, während ich vor so vielen Toten stand und ihre Gesichter in Gips oder Alginat abgoß, dann ihr verlorenes Gesicht in Gips, in einem Silikonnegativ, in einem Wachspositiv, in einem Bronzepositiv und schließlich in ihrer patinierten Endform betrachtete. Wie verwandelt sich der Tod? Und spiegelt nicht die Vielfältigkeit der Gesichter die Vielfalt der Lebensführungen wieder? Wenn ich diese Gesichter betrachte, sehe ich unschuldige Schönheit, ich sehe Leiden und Krankheit, ich sehe Anmut und Regsamkeit, ich sehe Disziplin und Weisheit sowie die Abwesenheit all dieser Eigenschaften. Ich sehe mich selbst in jedem Alter und jeder ethnischen Gruppierung, und ich sehe mich selbst auf der Wanderung durch den Lebenszyklus in dieser Jahrhundertsammlung.

Unmöglich zu sagen, warum ich das gießen mußte. Ich wußte es innerhalb einer Millisekunde: ich mußte das machen, und ich mußte es so machen: 102 Antlitze, von Null bis 101, eine aus jedem Lebensjahr, in Bronze gegossen und auf separaten Podesten in einem Meter Entfernung voneinander aufgestellt. Die Gesichter der Toten sollten jeden Tag betrachtet werden, damit wir uns, bevor unsere letzte Stunde kommt, daran erinnern, daß dies eine sehr betrübliche Stunde sein wird.

Wie Epiktet, der Stoiker, in seinem Encheirideon schrieb:
„Halte dir den Tod jeden Tag vor Augen, und dann wirst du nie mehr etwas Böses denken und nichts Extravagantes verlangen.“